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Pressemitteilung

Stellungnahme zur Veranstaltung „Situation der Prostituierten in Bayern und zur Umsetzung des Prostituiertenschutzgesetzes in Bayern“

Stellungnahme des Bündnisses NRW pro Nordisches Modell

zur Anhörung über „Situation der Prostituierten in Bayern und zur Umsetzung des Prostituiertenschutzgesetzes in Bayern“

1. Vorbemerkung zur Umsetzung des Prostituiertenschutzgesetzes (ProstSchG) in Bayern

Wir begrüßen es, dass sich der Bayrische Landtag am 12.05.2022 mit der aktuellen Situation der Prostituierten in Bayern auseinandersetzt und der Frage nachgeht, ob die aktuelle Gesetzeslage Prostituierte ausreichend schützt und die Organisierte Kriminalität, den Menschenhandel und die Zwangsprostitution eindämmt oder gar verhindert. Prostitution und Menschenhandel sind grenzüberschreitend und machen nicht an Grenzen einzelner Bundesländer halt. Es handelt sich um ein globales Problem, dem nur grenzüberschreitende Maßnahmen entgegengesetzt werden können. Es ist dementsprechend unerheblich, wie das Prostituiertenschutzgesetz in Bayern umgesetzt wird, Ausbeutung und Gewalt wird es nicht verhindern können.

Prostitution wird seit jeher versucht zu regulieren. 2002 wurde durch das Prostitutionsgesetz erstmals der Versuch gestartet, die Rechte und soziale Absicherung von Prostituierten zu stärken und das Gewerbe dem Rotlichtmilieu zu entkoppeln. Die Bundesregierung hat bereits 2007 eingeräumt, dass die Zielsetzungen des Prostitutionsgesetzes nur zu einem begrenzten Teil erreicht worden sind.[1] Prostituierte sind so gut wie nicht sozialversichert und durch die Liberalisierung hat die organisierte Kriminalität zu- statt abgenommen. Deutschland ist zum Bordell Europas geworden.[2] „Die Ausstiegsmöglichkeiten aus der Prostitution sind durch das Prostitutionsgesetz nicht erkennbar verbessert worden.“[3] Ebenfalls gescheitert ist das Prostituiertenschutzgesetz: Ende 2020 waren rund 24.900 Prostituierte bei Behörden angemeldet.[4] Somit sind ¾ von geschätzten 200.000 Prostituierten im sog. Dunkelfeld. „Freiwillige“ Prostitution und Menschenhandel lassen sich nicht voneinander trennen.

Wir übernehmen nicht das verharmlosende Wording der Sexindustrie (Lobby), die mit Begriffen wie „Sexarbeiterin“, „Sexarbeit“, „Kunde“ oder „Sexkäufer“ das System Prostitution als Arbeit wie jede andere darzustellen versucht und das übergriffige Handeln der Freier legitimiert. Prostitution ist weder Sex noch Arbeit. Durch den Austausch von Geld kann niemals nicht-konsensualer Geschlechtsverkehr einver­nehmlich gemacht werden (nicht konsensualer bzw. nur einseitig gewollter GV ist Gewalt). Es entsteht ein Machtgefälle zugunsten des Freiers, der sich das „Recht erkauft“, einen sexuellen Übergriff gegenüber einer zumeist schlechter gestellten Frau in einer prekären Lage auszuüben. Sobald es sich um eine Zwangsprostituierte oder um ein Opfer von Menschenhandel zum Zwecke der sexuellen Ausbeutung handelt, ist jeder Freier ein Vergewaltiger. Begriffe wie „Sexarbeiterin“ oder „Sexarbeit“ führen außerdem zu einer Normalisierung und Aberkennung von Gewalterfahrungen der Prostituierten.

Sandra Norak, Überlebende der Prostitution, Juristin und Gründerin von Ge-STAC, schreibt dazu: „Anstatt ihre erlebte Gewalt anzuerkennen, wird die Gewalt durch den Begriff ‚Arbeit‘ unsichtbar gemacht. Das lässt viele Betroffenen an sich selbst zweifeln, weil ihr richtiges Erleben und die Einordnung dieses Erlebens als Gewalt von dem Begriff ‚Arbeit‘ in den Schatten und damit in Frage gestellt wird. Sie zweifeln an sich selbst, denken oft, sie müssen es aushalten können. Es sei ja nur eine ‚Arbeit‘.“[5]

2. Auswirkungen des Prostitutionsgesetz (ProstG) und ProstSchG in Bayern

Unsere BündnispartnerInnen, die in der Beratung von Prostituierten haupt- oder ehrenamtlich tätig sind, schildern, wie schwer es ist, ein Vertrauensverhältnis zu den Frauen aufzubauen, da sie immer wieder „reisen“, also den Ort wechseln um unterschiedlichen Freiern zur Verfügung gestellt zu werden. Daher ist anzunehmen, dass die Zahl der angemeldeten Prostituierten nicht verlässlich ist. Nur weil sich eine Prostituierte in München angemeldet hat, heißt es nicht, dass sie sich in München prostituiert bzw. prostituieren muss. Festzustellen ist, dass weder das 2002 erlassende Prostitutionsgesetz noch das nach Bekanntwerden des Nachbesserungsbedarfes im Jahr 2017 erlassene Prostituiertenschutzgesetz zu einer verbesserten Lage der Prostituierten geführt hat. Prostituierte sind beinahe nie sozialversicherungspflichtig angestellt, sie sind als Selbstständige so gut wie nie krankenversichert.

Corona hat die schwierigen Lebenslagen der Prostituierten wie unter einem Brennglas verdeutlicht: Obdachlosigkeit, fehlende finanzielle Rücklagen sowie fehlende soziale Kontakte der Frauen wurden sichtbar. Das gilt nicht nur für ausländische bzw. migrantische Prostituierte. Es darf nicht unerwähnt bleiben, dass vielen deutschen „freiwillig“ in die Prostitution eingestiegenen Frauen in ihrer Kindheit und/oder Jugend sexuelle Missbrauchserfahrungen widerfahren sind und sie letztlich in die gleiche Gewaltspirale in der Prostitution geraten[6].

Weder die Gesundheitsberatung noch die Anmeldepflicht haben dazu geführt, das Gewerbe vom Rotlichtmilieu abzugrenzen und aus den Fängen der Organisierten Kriminalität zu befreien. Schlussendlich lässt sich feststellen, dass auch der zweite Versuch (Einführung des ProstSchG), Prostitution zu einem gewaltfreieren und ausbeutungsärmeren System zu machen, gescheitert ist.

3. Illegale Prostitution, Zwangsprostitution, Menschenhandel

Wie bereits erwähnt spiegeln die Anmeldezahlen von Prostituierten nicht die reale Anzahl an Prostituierten wider. Aufklärungskampagnen wie die Exit.NRW Kampagne[7] des Ministeriums für Heimat, Kommunales, Bau und Gleichstellung des Landes Nordrhein-Westfalen schrecken weder Freier ab, noch halten sie die Organisierte Kriminalität von ihrem Handel ab. Frauen werden aus den Armenhäusern der Welt wie Rumänien, Bulgarien sowie asiatischen oder afrikanischen Ländern (Nigeria) rekrutiert oder unter falschen Versprechungen nach Deutschland gelockt bzw. verschleppt. Nachweislich werden in Deutschland Zwangsprostitution und Menschenhandel zum Zwecke der sexuellen Ausbeutung strafrechtlich nicht ausreichend erfolgreich geahndet, sondern können unter den Bedingungen einer legalen Sexindustrie weiter unbemerkt ausgeführt werden. Es gibt so gut wie keine Verurteilungen. Hierzu verweisen wir auf die Studie des Kriminologischen Forschungsinstitut Niedersachsen e.V., wonach nicht einmal die 2016 extra überarbeiteten Strafvorschriften gegen Menschenhandel in Deutschland Wirksamkeit entfalten.[8]

4. Handlungsbedarfe und Zukunftsperspektiven

Wie kann Deutschland Minderjährige, Frauen, Männer und trans Menschen vor Zwangsprostitution und Menschenhandel zum Zwecke der sexuellen Ausbeutung schützen? Da die beiden Regulierungsversuche Deutschlands (ProstG und ProstSchG) gescheitert sind und Deutschland den Menschenhandel strafrechtlich nicht angemessen ahndet, muss ein Umdenken in der Prostitutionspolitik einsetzen. Als Bündnis NRW pro Nordisches Modell schließen wir uns der völkerrechtlichen UN-Konvention zur Unterbindung des Menschenhandels und der Ausnutzung der Prostitution anderer von 1949 an. In der Präambel heißt es:

„…[dass] die Prostitution und das sie begleitende Übel des Menschenhandels zum Zwecke der Prostitution mit der Würde und dem Wert der menschlichen Person unvereinbar sind.“[9]

Zudem verweisen wir auf die Resolution des Europäischen Parlaments „über sexuelle Ausbeutung und Prostitution und deren Auswirkungen auf die Gleichstellung der Geschlechter“ von 2014[10]. Es fordert alle europäischen Länder auf, in ihrer Gesetzgebung dem sogenannten Nordischen Modell zu folgen. In der Resolution wird u.a. festgestellt, „dass Prostitution eine Form der Sklaverei darstellt, die unvereinbar mit der Menschenwürde und den Grundrechten ist.“ Auch wir als Bündnis fordern eine menschenrechtssensible Gesetzgebung nach dem Vorbild des sogenannten Nordischen Modells, das u.a. bereits in Schweden, Norwegen, Island, Irland und Nordirland, Frankreich und zuletzt in Israel umgesetzt wird:

  1. Entkriminalisierung der prostituierten Frauen, Männer und trans Menschen
  2. Kriminalisierung und wirksame Strafverfolgung aller Profiteure: FreierInnen, ZuhälterInnen/Loverboys, Bordellbetreibende und Menschenhändler
  3. Ausbau von Ausstiegshilfen (bundesweit und flächendeckend), Schutz- und Unterstützungsangebote
  4. Aufklärung und Öffentlichkeitsarbeit durch antisexistische Erziehung und Prävention mit dem Ziel eines gesellschaftlichen Umdenkens

Fazit

Nach zwei Versuchen der Regulierung sollte sich Deutschland eingestehen, dass sich ein System, das niemals auf Freiwilligkeit beruht, allerdings auf Ausbeutung, Gewalt und kriminellen Strukturen, statt einer dritten (und vierten und fünften…) Nach-besserung nur ein Umdenken in der Prostitutionspolitik helfen kann. Zwangs-prostitution und Menschenhandel zum Zwecke der sexuellen Ausbeutung machen die Frauen psychisch und physisch krank. Der deutsche Staat kommt seiner Schutzpflicht nicht nach, Prostitution als geschlechtsspezifische Gewalt zu definieren und die Frauen zu schützen. Wir fordern kein Prostitutionsverbot, das die Frauen in die Kriminalität treibt, sondern die generelle Freier-Bestrafung, die den Fokus auf das Handeln der Freier legt und diese zur Verantwortung zieht. Wenn Männer Frauen vermeintlich legal zur sexuellen Benutzung kaufen dürfen, stellt diese Politik ein unüberwindbares Hindernis zur Gleichstellung der Geschlechter dar. Daher betrifft Prostitution alle Mädchen und Frauen einer Gesellschaft.


[1] Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ) (2007): Bericht der Bundesregierung zu den Auswirkungen des Gesetzes zur Regelung der Rechtsverhältnisse der Prostituierten (Prostitutionsgesetz – ProstG). Berlin, online: bericht-der-br-zum-prostg-broschuere-deutsch-data.pdf (bmfsfj.de) S. 80

[2] DER SPIEGEL 22/2013 – Inhaltsverzeichnis Titelbild Ausgabe Nr. 22 vom 26.05.20213

[3] BMFSFJ ebd.

[4] Prostituiertenschutz – Statistisches Bundesamt (destatis.de)

[5] https://sandranorak.com/sexarbeit/

[6] Studie des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend: „Lebenssituation, Sicherheit und Gesundheit von Frauen in Deutschland“, Schröttle/Müller 2004

[7] Siehe https://www.mhkbg.nrw/exit.nrw

[8] Bartsch, Tillmann / Labarta Greven, Nora / Schierholt, Johanna / Treskow, Laura / Küster, Robert / Deyerling, Lena / Zietlow, Bettina (2021): Evaluierung der Strafvorschriften zur Bekämpfung des Menschenhandels (§§ 232 bis 233a StGB) – Forschungsbericht (hrsg. vom Kriminologischen Forschungsinstitut Niedersachsen e.V.). Hannover, online: https://www.bmj.de/DE/Ministerium/ForschungUndWissenschaft/Evaluierung_Strafvorschriften_Bekaempfung_Menschenhandel/Bericht_Evaluierung_Strafvorschriften_Bekaempfung_Menschenhandel.html;jsessionid=352CFCFED6D469E168E4551EB37EB083.2_cid289?nn=16914790

[9] https://www.un.org/depts/german/uebereinkommen/ar317-iv.pdf

[10] https://www.europarl.europa.eu/doceo/document/A-7-2014-0071_DE.html